Faszination Indien
Liebeserklärung einer Viel-Reisenden an Rajasthan oder Kultur in Indien ist ein Grundnahrungsmittel
Wenn ich versuche, meine Begeisterung für Indien (egal welche Region des Subkontinents) Kunden zu vermitteln, kommen nicht selten sofort zwei Themen auf: Da ist ja so viel Armut zu sehen – und, vor allem in letzter Zeit – wie kann man da als Frau nur hinreisen...
Indien hat - wie alle anderen Schwellenländer - zahlreiche politische und wirtschaftliche Herausforderungen zu meistern. Der zweit-bevölkerungsreichste Staat der Erde (1,292 Mrd. EW) - unterteilt in 29 Bundesstaaten, die fast den gesamten Subkontinent einnehmen – ist die größte Demokratie der Erde. Ein extrem niedriges Bruttoinlandsprodukt steht neben einer immensen wirtschaftlichen Stärke in den Gebieten IT und Pharmazie. Menschen, die täglich aus den Slums von Mumbai im Anzug zur Arbeit fahren – riesige Pilgerfeste mit Millionen von Gläubigen – gelebte Stammestraditionen der Adivasi, der indischen Urbevölkerung... Widersprüche – oder scheinbare Widersprüche, die Indien nicht immer einfach für den Touristen machen, aber auch unzählige Reize offenbaren.
Doch zurück zu meiner Liebeserklärung – INCREDIBLE INDIA ist der Slogan des Fremdenverkehrsamtes und stimmt für mich in vielerlei Hinsicht: unglaublich, staunenswert, umwerfend und atemberaubend, unvergleichlich wie ein Kaleidoskop. Und alles gemeinsam empfinde ich noch immer, wenn ich durch Rajasthan reise, den Bundesstaat, der mich scheint’s magisch anzieht. Bei meiner letzten Reise haben wir im äußersten Süden des Landes begonnen - mit einem Abstecher nach Dungarpur: Wie in vielen Orten des Landes haben wir in einem Heritage-Hotel voller liebenswerter Erinnerungen geschlafen, haben den Palast aus dem 19. Jh. am Ufer des Gaibsagar Sees bewundert, aber auch über die fantastische Extravaganza gelacht, inmitten der hochherrschaftlichen Garage voller einzigartiger Oldtimer eine Bar einzurichten – mit Blick quasi von der Hebebühne auf die Hochglanz polierten Rolls Royce u.v.m. Das alte Fort Dungarpur wurde bereits im 13. Jh. als „Stadt der Hügel“ gegründet – wer durch das unscheinbare Portal eintritt, den umfängt eine Welt prachtvollster Spiegelmosaike, grandioser Miniaturmalerei, üppigster Farben – doch nur wenige Besucher verirren sich hierher.
Udaipur
Weitaus bekannter ist die nur 2 Fahrstunden nördlich gelegene Stadt Udaipur – die Maharanas des Sonnenclans haben nach dem Fall ihres Stammsitzes hier die prächtigste Schlossanlage Rajasthans errichtet – mächtig, würdevoll, verspielt erheben sich die Palastanlagen über dem Pichola See, der - als künstlicher See - als Spiegel für diese Pracht dienen sollte. Hier entstand einer der schönsten Dokumentarfilme von Andre Heller und Werner Herzog – Jag Mandir, eine „Inventur der indischen Volkskunst“. Der jetzige Maharana wollte seinem Sohn vor der „Macdonaldisierung“ Indiens das Land und die Kunst, die nicht Luxus, sondern Grundlebensmittel ist, präsentieren. Mehr als 2000 Künstler trafen sich zu einem einzigartigen Fest in Udaipur – aufgezeichnet mit all der Demut, die Dokumentarfilmer von der Größe Werner Herzogs und Andre Hellers aufbringen können. Wer nach Rajasthan reist, sollte sich dieses Wunderwerk als „Vorbereitung“ unbedingt anschauen!
Spazieren wir durch die Gassen von Udaipur, erleben wir die Geschäftigkeit der Basarstraßen, die rege Betriebsamkeit um den Jagdish Tempel mit seinen hunderten Götterfiguren und die Erhabenheit der Durbar Hallen und Räumlichkeiten im Palast. Quasi auf den Spuren von James Bond besuchen wir die beiden Seepaläste, die wie leuchtend weiße Juwele inmitten des Pichola Sees liegen.
Aravallis
Nordwestlich von Udaipur erreichen wir die Bergkette der Aravallis, mit mehr als 2 Mrd. Jahren Alter eines der ältesten Gebirge Indiens, das sich quer durch Nordindien zieht und hier als Klima-/Wetterscheide zwischen der Wüste Thar und dem fruchtbareren Osten des Landes fungiert. Vorbei an kleinen Dörfern mit winzigen Feldern, die mühsam von Büffel-betriebenen Wasserrädern bewässert werden, erreichen wir Ranakpur, eines der größten Wunder indischer Steinmetzkunst. Die Jains sind in Nordindien vor allem in Gujarat (Palitana) und Rajasthan (u.a. Mt. Abu) zu finden – in der ersten Hälfte des 15. Jh. nutzten sie ihren Einfluss, um hier in der Abgeschiedenheit der Aravalli-Berge ihre Marmor-Tempel zu errichten: Elfenbein-farbener Marmor zu höchster Vollendung geführt. Der Adinatha-Tempel – für die geistigen Anführer der Jains (Tirthankaras) errichtet – wird von mehr als 1440 Marmorsäulen getragen, die alle unterschiedlich in überschwänglicher Ornamentfülle gestaltet sind. Hier erfährt man hautnah, was atemberaubend heißt – was es heißt, dank unzähliger Details ganz hingerissen zu sein!
Rohet Garh
Unser Weg führt uns weiter nach Rohet Garh, Heimat eines Maharajas sowie eines bezaubernden Heritage Hotels. Wer nach Luxus pur sucht, kann den Palast des Maharaja-Sohnes Mihir Garh besuchen: ein Schloss-Traum, den er sich auf den heiligen Dünen des Kriegergottes von Marwar erfüllt hat. Neun Suiten, die inmitten der Wüste Thar mit ihrer kargen Schönheit alle Annehmlichkeiten bieten. Doch wir suchen etwas anderes – den Kontakt zum Stamm der Bishnoi, die sich vor 500 Jahren bereits dank eines Gurus dem Schutz allen Lebens verschrieben haben. Die früh erkannten, dass die Abholzung die Wüste vorantreibt, dass alles Leben Platz braucht und die in enger Verbundenheit mit Tieren und Pflanzen leben. Bishnoi bedeutet 29 – sie leben nach 29 Regeln/Geboten, die ihren absoluten Respekt vor allen Lebeweisen bezeugen: Fälle keine Bäume, töte keine Tiere, denke, bevor du sprichst; die aber auch Fragen der täglichen Hygiene, der Bildung oder des vergebenden Zusammenlebens regeln. Der Maharaja von Rohet zählt zu den Menschen, die sich für die Bishnoi einsetzen, ob vor Gericht oder vor dem Landesparlament, sodass wir im Umkreis von Rohet einige Bishnoi-Siedlungen besuchen können.
Mehrangarh Fort
Nur etwa eine Fahrstunde nördlich von Rohet Garh liegt das Mehrangarh Fort auf einer steilen Felsklippe über Jodhpur, der Hauptstadt des alten Königreichs Marwar, heute die zweitgrößte Stadt Rajasthans. Mitte des 15. Jh. an einer belebten Karawanenstraße gegründet, über die Opium und Kupfer, Sandelholz und Datteln Richtung Westen gelangten, erhebt sich das Fort wie eine Krone über die blaue Altstadt. Ursprünglich hätten nur Brahmanen die blaue Hausfarbe verwendet – jetzt wird es von allen imitiert und gibt der Stadt mit den vielen regen Gassen und Märkten rings um den Uhrturm ihr besonderes Flair. Das Mehrangarh Fort fasziniert mit prunkvollen Sälen, wo ab dem 17. Jh. alles was gut und teuer war aus Europa importiert und in den üppigen Repräsentationsstil integriert wurde – Delfter Porzellan und Murano-Glas neben indischer Miniatur-Malerei.
Chhatra Sagar
Einen Übernachtungsort der besonderen Art finden Sie zwischen Jodhpur und Pushkar – den Staudamm von Chhatra Sagar. Vor wenigen Jahren wurden auf der Dammkrone Luxuszelte inmitten der schönen Umgebung errichtet, die den kleinen Stausee und die grüne Oase überblicken. Hier kann man nicht nur die interessante Vogelwelt kennen lernen, sondern auch Einblick in das normale Alltagsleben der Bauern ringsum erhalten, die ländliche Lebensart und die Traditionen.
Pushkar
Nach dem wenig bekannten Übernachtungsort geht es weiter nach Pushkar, die Stadt der 1000 Tempel – ein hinduistischer Wallfahrtsort obersten Ranges am Rande der Wüste Thar, am Ufer des Pushkar Sees. Der malerisch zwischen Hügeln und Dünen gelegene See greift in seiner religiösen Bedeutung auf eine Brahma-Legende zurück und beherbergt einen der wenigen Brahma-Tempel Indiens. Zur Zeit des Vollmonds im November (14. – 23.11.2015) erwacht der Ort für einige Tage aus seiner Beschaulichkeit und eine geschäftige Festatmosphäre macht sich breit, wenn hier ein lebhafter Markt, einer der größten Viehmärkte Indiens, mit Kamelen, Büffeln, Pferden und Schafen abgehalten wird. Tausende Pilger kommen, um sich im Heiligen See von ihren Sünden zu reinigen oder Vieh auf dem weitläufigen Markt zu erstehen. Vor allem die Rajputen in farbenprächtiger Kleidung sind ein Glanzpunkt des Marktes – und der Ort und das interessante Fest eines der touristischen Highlights in Rajasthan. Einigermaßen luxuriöse Zeltcamps werden um die Stadt errichtet, denn die wenigen Hotels der Stadt würden dann nicht ausreichen. Wir beobachten still die Menschen bei ihren morgendlichen Gebeten, erleben das laute Gefeilsche in der Altstadt und auf den Märkten und genießen schließlich den zauberhaften Sonnenuntergang.
Jaipur
Natürlich dürfen wir auch die Pink City nicht auslassen – Jaipur, die faszinierende rosarote Hauptstadt von Rajasthan. Als den Kachwahas ihr alter Stammsitz Amber zu eng wurde (was in Anbetracht der riesigen Anlage kaum zu glauben ist), ließ Maharaja Jai Singh II in der nahegelegenen Ebene im Jahr 1727 eine neue Stadt errichten, ursprünglich Jainagara genannt, die den uralten Überlieferungen der Hindu-Literatur nach einer perfekten Stadt entsprechen sollte. Trotz zahlreicher Kriege und Auseinandersetzungen mit den Nachbar-Königreichen, den Mogulkaisern und den Maratha-Fürsten fand der Herrscher Zeit, sich neben dem Städtebau auch mit Astronomie zu beschäftigen – er ließ fünf Observatorien (Jantar Mantar) errichten, die in den wichtigsten Städten Indiens entstanden und den Observatorien der Jesuiten weit überlegen waren. Jenes in Jaipur ist bis heute voll funktionstüchtig und zählt gemeinsam mit Amber und dem Stadtpalast zum Weltkulturerbe der UNESCO. Genauso wie der Hawa Mahal, der Palast der Winde, eine Kulissenwand mit dutzenden Erkern, die den Frauen des königlichen Palastquartiers (zenana genannt) Ausblick auf Feste auf den Straßen gewährte, ohne selbst gesehen zu werden.
Warum die Stadt „rosa“ wurde, ist schnell erzählt – ein Besuch des englischen Königs Edward VII tauchte die Stadt in die Farbe der Gastfreundschaft – ein pink-ocker-farbenes Rosa. Das bis heute in der ganzen Stadt zelebriert wird.
Viel gäbe es noch zu erzählen von diesem Kaleidoskop aus Farben, Künstlern, Stämmen, Sprachen und Landschaften in Rajasthan – tauchen Sie einfach selbst ein in diese überwältigende Welt!